Sonntag, 20. Januar 2013

Ich. schreibe. #1

Tauben

Kalt.
Ihre Füße fühlten sich eiskalt an. Sie froren richtig und vielleicht fühlte sich das glatte Metall unter ihrer Haut deswegen so unwirklich an.
„Bitte tu das nicht.“
Sie hörte das leise Flüstern ihres Freundes hinter sich. Wie lange er da wohl schon stand? Sie wusste es nicht, drehte sich auch nicht zu ihm um.
Die Distanz störte sie aber auch nicht, nichts schien sie mehr zu stören, nichts zu berühren, wenn nur dieses verdammte Geländer nicht so kalt wäre.
Eine winzige Schneeflocke näherte sich ihr und ihr Atem ließ sie auch schon gleich wieder schmelzen. Sie fing an das Lied zu summen, das sie zuletzt gehört hatte, als wäre dieses kleine Gebilde der Natur der Auftakt gewesen, der Leader, der sich und seine Band auf der Bühne erst einmal vorstellt.
„Nimm mich mit, nimm mich mit, Tommy-Boy, auf das Abenteuer Liebe und so weiter...“, formte sie mit ihren Lippen und sie wusste, dass ihr Freund sie hören würde, obwohl sie es nur unsichtbar vor sich hinhauchte.
Und er hörte sie, sein Körper spannte jede noch so kleine Faser an, um ja keine Bewegung und keinen noch so winzigen Laut von ihr zu verpassen.
Er stand so weit, weit weg, viel zu weit für sie. Seit er angekommen war, hatte er sich nicht einen Millimeter von der Türschwelle fortbewegt und er wird es auch nicht tun.

Ein kleiner Windhauch streichelte ihr Gesicht und sie fröstelte furchtbar. Wie ihre Zehen waren ihre Finger so klamm, dass ihre Knöchel schon weiß aufleuchteten in dieser Winternacht.
Dennoch drückte sie ihre Brüste gegen das grüne Gitter -hier und da schon angerostet- und es fühlte sich gut an. Es fühlte sich kalt an.
Es war schon so schrecklich lange her, dass er ihre Brüste berührt hatte, wie lange wollte ihr schon gar nicht mehr einfallen.
Früher hatte er sie immer angefasst, ja schon fast gegrapscht, weil er so vernarrt in diese zwei kleinen Rundungen war, die so perfekt in seine Männerhand passten.
Wann hatte er sie das letzte Mal eigentlich berührt? Sie mit seinen Fingerspitzen gesehen? Sie um den Verstand gebracht?
Wann hatte sie ihren Verstand verloren?

Sie ließ die Gitter los, an die sie sich bis jetzt noch wie eine Ertrunkene geklammert hatte und stieg langsam auf die Feuerleiterterrasse zurück. Der Betonboden war auch nicht wärmer, aber der Wind konnte ihr dort nicht mehr so viel anhaben.
Aber sie drehte sich noch nicht zu ihm um, stattdessen betrachtete sie das Maschendrahtgitter mit der Präzision eines Chirurgen, strich mit den Fingern wahllos über ein zwei Stellen, so wie er sie immer berührt hatte.
„Was meinst du,“ fragte sie den Nachthimmel, „sind diese Gitter angebracht worden, damit die Tauben von draußen nicht reinkommen oder damit die Tauben von hier drinnen nicht hinaus kommen?“
Keine Antwort.
Sie träumte in die Dunkelheit, wie weiße, wunderschöne Tauben die Luft ritten, sich treiben ließen, wie sie frei und ungebändigt waren, bis zu diesem Gitter.

Sie setzte erneut einen Fuß auf das Gelände des 21Stöckigen Gebäudekomplexes und ein erschrockenes Keuchen drang an ihr Ohr.
Ah, ein Lebenszeichen, er war also noch nicht so tot wie sie sich fühlte. So tot wie sie war.
Sie zog auch den zweiten Fuß nach, bis das Geländer ihr Gewicht wieder vollständig trug.
Jeder wusste, dass diese Gitter zu stabil waren um irgendeinen unerwünschten Fremdkörper hineinzulassen, aber sie waren auf keinen Fall fest genug, um eine verirrte Taube zu halten.
Und das Gitter hielt die Taube nicht.
Es gab erst ganz leicht nach, dann mit einem ohrenbetäubenden Knacken und Zischen. Es hätten auch die Laute ihres Freundes sein können, sie war sich unsicher bei der Zuordnung.
Aber das war ja auch egal.
Die Taube wollte ja nur Fliegen lernen.



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Ich schreibe ja echt total gerne, wenn auch selten, aber sehr gerne und habe deswegen einfach mal hier eine neue "Rubrik" aufgemacht :3
Es gibt auch einige Fanfictions, aber die wollte ich hier nicht hochstellen, doch wer Interesse hat, kann gerne hier ein bisschen reinschmöker (^__^)

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